Überblick über die Unbezifferte Forderungsklage im türkischen Zivilprozessrecht
Als eine allgemeine Regel des türkischen Zivilprozessrechts, wie im deutschen und schweizerischen Recht, muss das Rechtsbegehren die verlangte Leistung eindeutig und klar bezeichnen (Art. 119 Abs. 1 lit. ğ TürZPO ). Diese gesetzliche Notwendigkeit ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass durch die ausreichende Bestimmtheit, bei der Zahlungsklage insb. durch die Bezifferung des Rechtsbegehrens, die Anknüpfungspunkte für den Umfang der Rechtshängigkeit und Anfechtbarkeit der Gerichtsentscheidung hervorgehen. Diese Notwendigkeit dient zugleich dazu, dass der Richter, der nicht mehr zusprechen darf als eingeklagt ist, den Umfang der Klage bestimmen kann.
Unbezifferte Forderungsklage wird im türkischen Recht als eine neue und besondere Art von Leistungsklagen bezeichnet, die auf ein Tun, Unterlassen oder Dulden der beklagten Partei zielen. Vor dem Inkrafttreten des neuen Zivilprozessgesetzes im Jahre 2011 war unbezifferte Forderungsklage in der türkischen Gerichtspraxis nicht anerkannt.
Die gesetzliche Regelung hinsichtlich der unbezifferten Forderungsklage findet sich in Art. 107 TürZPO. Die Regelung lehnt sich weitgehend an die schweizerische Regelung (Art. 85 SchwZPO ). Die Bestimmung lautet wie folgt:
(1) Ist es dem Gläubiger unmöglich oder unzumutbar, ihre Forderung bereits zu Beginn der Klage genau und endgültig zu beziffern, so kann sie unter Angabe des Rechtsverhältnisses und eines Mindestbetrags oder -werts eine unbezifferte Forderungsklage erheben. (2)Die klagende Partei kann den zu Beginn der Klage angegebenes Rechtsbegehren erhöhen, sobald sie nach Abschluss des Beweisverfahrens oder nach Auskunftserteilung durch die beklagte Partei in der Lage ist, die Forderung genau und endgültig zu beziffern. Das Verbot der Klageerweiterung kommt hier nicht zur Anwendung.
Demnach ist die allgemeine Voraussetzung, dass es für die klagende Partei bei Klageeinleitung unmöglich oder unzumutbar ist, ihre Forderung genau und endgültig zu beziffern. Sie muss vorerst lediglich einen Mindestwert als vorläufigen Streitwert angeben und kann die Bezifferung der Forderung später nachholen.
Die neue Regelung in Art. 107 TürZPO ermöglicht der klagenden Partei, in Fällen, in denen die Höhe des Anspruchs nicht schon klar feststeht, sondern von einem Beweisverfahren abhängt, das Ergebnis des Beweisverfahrens abzuwarten, bevor sie ihre Forderung genau beziffert. Denn es ist einer Partei nicht zumutbar, vorprozessual umfangsreiche Beweiserhebungen vorzunehmen (z.B. Einholen von umfassenden Privatgutachten), um das Rechtsbegehren genau zu beziffern.
Die unbezifferte Forderungsklage ist von der Teilklage zu folgenden Punkten abzugrenzen:
Bei der Teilklage kann die klagende Partei die Forderung bei Klageeinleitung genau beziffern aber sie klagt aufgrund der Dispositionsmaxime nur einen Teil der behaupteten Schuld ein. Dagegen ist eine solche Bezifferung bei der unbezifferten Forderungsklage zu Beginn des Gerichtsverfahrens unmöglich oder unzumutbar.
Während das Verbot der Klageänderung und- erweiterung für die nach dem Beweisverfahren erfolgte Bezifferung nicht zur Anwendung kommt, unterliegt die Erhöhung des Rechtsbegehrens bei der Teilklage den gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Klageänderung.
Eine Teilklage hemmt die Verjährung nur in Höhe des bei Klageeinleitung eingeklagten Betrags, auch wenn die klagende Partei den Anspruch insgesamt begründet und sich die Geltendmachung des Restbetrags vorbehält. Dagegen führt die unbezifferte Forderungsklage zur Hemmung der Verjährung im Ganzen, also nicht bei Klageeinleitung abgebebenen Mindestbetrag sondern den nach dem Beweisverfahren bezifferten Forderungsbetrag.
Dieser Artikel soll dem Leser nur einen allgemeinen Überblick über sein Thema geben. Jeder Einzelfall sollte nach seinen Umständen beurteilt werden.